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DB Regio (Sparte Schiene)

Bahnstreiks in Deutschland - das sind die Hintergründe!

Ein Erklärungsversuch

Dokumentation
YT_E | Ö-D-CH
POI
Kontrovers
Fahrgast
Störung
Güterverkehr
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Hochladedatum: 27. August 2021 | Video-Erstelldatum: 27.08.2021 | Ersteller: Eisenbahn in Ö D CH
youtu.be | Dokumentation, YT_E | Ö-D-CH
00:15:30 Videolänge

Videobeschreibung:

In diesem Video sehen wir uns möglichst ausgewogen und unvoreingenommen an, wie es zu den Streiks der GDL kam und ob eine Lösung zum Tarifkonflikt zwischen Bahn und Gewerkschaft in Sicht ist.


Weiterführende Informationen:

Das Videoskript zum Nachlesen

Worüber ich in der letzten BahnNews-Folge noch spekuliert habe, ist nun längst Realität: Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) hat diesen August bereits zwei Streiks durchgeführt und damit den Bahnverkehr in jeglicher Hinsicht massiv beeinträchtigt. Aber warum eigentlich? Und wie geht es nun weiter? Das sehen wir uns jetzt an.

Um die Situation, wie sich derzeit darstellt, zu verstehen, müssen wir mehr als ein ganzes Jahr zurückgehen. Ende Mai 2020 unterzeichneten Bahn-Chef Richard Lutz, der Bahn-Konzernbetriebsratsvorsitzende Jens Schwarz und Klaus Dieter Hommel von der EVG in Scheuers Ministerium in Berlin ein „Bündnis für unsere Bahn“. Ziel dieses Pakts ist es, die „Coronakrise gemeinsam und solidarisch zu bewältigen“. Den Eisenbahnern wird darin „Sicherheit und Stabilität für ihre Arbeitsplätze“ zugesichert. Im Gegenzug haben sie ihre Bereitschaft erklärt, „intelligente, sozial ausgewogene und ökologisch sinnvolle Maßnahmen zur wirtschaftlichen Stabilisierung“ mitzutragen. Die Details dieser Vereinbarung waren zum damaligen Zeitpunkt noch Verhandlungssache. Damals stimmte aber einer so gar nicht zu: nämlich der Chef der GDL, Claus Weselsky. Er warnte stattdessen vor Eingriffen in die Tarifautonomie durch freiwillige Sparzusagen der Arbeitnehmer. Ende Juni startete die Deutsche Bahn mit der EVG auf Basis des unterzeichneten Bündnisses ihre Tarifverhandlungen. Mitte September 2020 einigte man sich auf die Eckpunkte des Corona-Tarifvertrages. Dies sind Lohnsteigerungen entsprechend der Inflation ab 2022 sowie die Erweiterung des Kündigungsschutzes und die Fortsetzung der Einstellungsoffensive.

Mit der GDL leitete die DB hingegen im Oktober letzten Jahres ein Schlichtungsverfahren ein, da die Gewerkschaft Tarifverhandlungen abgelehnt hatte. Martin Seiler, DB-Vorstand Personal und Recht, sagte dazu am 22. Oktober: Nach sieben Verhandlungstagen hatte der Schlichter Mitte November beiden Parteien seine Empfehlung für einen Tarifabschluss vorgelegt, der auch einen Beitrag zur Bewältigung der Corona-Schäden beinhaltet. Konkret ging es grob gesagt um Lohnerhöhungen von 1,5 Prozent und zusätzlich eine Corona-Sonderprämie in Höhe von 800 Euro bzw. in einzelnen höheren Entgeltgruppen von 600 Euro. Die DB stimmte dieser Empfehlung zu, die GDL lehnte sie aber ab, da die DB im Gegenzug ein trilaterales Abkommen mit der EVG verlangte. Damit sah die GDL ihre Tarifautonomie in Gefahr. Das bestritt die Bahn: weder habe sie verlangt, dass die GDL ihre Tarifautonomie „abgeben“ solle, noch sei die Zustimmung einer anderen Gewerkschaft erforderlich.

Ende Januar diesen Jahres reif die DB die GDL zu Tarifverhandlungen auf, gepaart mit dem Anliegen, politische Forderungen nicht mit den Verhandlungen zu vermengen. Anfang März stellte die GDL ihre Forderungen vor: sie forderte für das gesamte direkte Personal einen Eisenbahn-Flächentarifvertrag (EFTV) mit einer Entgelterhöhung um 4,8 Prozent zum 1. März 2021 sowie eine Corona-Prämie von 1 300 Euro pro Mitarbeiter. Diese Forderung wies die DB als realitätsfern und unsolidarisch zurück, unter anderem mit der Begründung, dass sie dieses Paket allein in dem Bereich, für den die GDL bislang Tarifverträge geschlossen hat, Kostensteigerungen in Höhe von 46 Prozent zur Folge hätte. Am 16. April 2021 begannen dann endlich die Tarifverhandlungen zwischen der Deutschen Bahn (DB) und der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL). Letztere hatte sich nun dazu bereit erklärt. Am 27. April folgte die 2. Tarifrunde, am 17. Mai die 3., in der die DB ein Angebotspaket mit erweitertem Kündigungsschutz, Fortsetzung der Einstellungsoffensive, Lohnerhöhung und Altersvorsorge vorstellte. Konkret beinhaltete das Angebot eine Lohnsteigerung von 1,5 Prozent und wie bei der EVG eine Laufzeit bis Februar 2023. Außerdem eine betrieblichen Altersvorsorge mit 3,3 Prozent Arbeitgeberbeitrag. Ende Mai dann der Lichtblick: In einem Schreiben vom Pfingstmontag erklärt die GDL, in dieser Tarifrunde nicht mehr über die Vergütung von Führungskräften und über Strukturfragen wie die Zerschlagung der Deutschen Bahn verhandeln zu wollen. Ursprünglich hatte die Gewerkschaftsspitze beide Themen zur Bedingung für die aktuellen Verhandlungen gemacht. Außerdem verzichtet die Gewerkschaft darauf, die Anwendung ihrer Verträge trotz Tarifeinheitsgesetz auch in Betrieben durchzusetzen, in denen sie nicht die Mehrheit der Mitarbeitenden organisiert. 

Anfang Juni kam allerdings die negative Kehrtwende: Die GDL-Verhandlungsführer beharren auf ihren hohen Forderungen, die das Dreifache des Öffentlichen-Dienst-Abschlusses umfassen würden, so die Deutsche Bahn. Die Ablehnung durch die GDL sei besonders unverständlich, da die DB einen weiteren Schritt auf die Gewerkschaft zugegangen sei. Sie hatte einen Abschluss in Aussicht gestellt, der sich am Tarifabschluss des Öffentlichen Dienstes für den Bereich Flughäfen orientiert.

Die GDL widerrum verkündete, die DB setze weiterhin auf Verzögerung, Verrechtlichung und die wahrheitswidrige Darstellung der GDL-Positionen in der Öffentlichkeit. Der Vorwurf: Die Arbeitgeberseite habe die Verhandlungen von Beginn an so geführt, dass sie scheitern mussten. GDL-Hauptvorstand und Bundestarifkommission einigten sich deshalb darauf, das Scheitern der Tarifverhandlungen zu verkünden.

Es folgte Unverständnis vonseiten der Deutschen Bahn und eine Urabstimmung der GDL zu Bahnstreiks, welche am 10. August ausgezählt wurde - 95% der abstimmenden GDL Mitglieder hatten für den Arbeitskampf gestimmt. Wie die Sache weiterging, wissen wir: fast 3 Tage Streik im Güterverkehr und 48 Stunden Lahmlegung des Personenverkehrs folgen. Und das mit nicht einmal 24 Stunden Ankündigungszeit. Auch wenn rund 25% der Personenzüge verkehrten, betraf der erste Streik Millionen Reisende.

Bestreikt wurde in erster Linie der Betrieb der Züge selbst - mit Ausnahmen aber auch die Arbeit auf Stellwerken oder Leitzentralen. Hier konnte die DB aber meist alternative Mitarbeitende finden, um den angesprochenen Notfallfahrplan aufrecht erhalten zu können. So war es auch den Privatbahnen auf deutschen Schienen möglich, großteils wie geplant, nur mit mehr Fahrgästen zu fahren. Dies traf sowohl auf die zahlreichen Privatanbieter im Regionalverkehr zu, wie auch auf den Fernzugbetreiber FlixTrain, den Alpen-Sylt Nachtexpress und Snälltaget. Auch auf die Nachbarländer haben die Streiks natürlich Einfluss: Grenzüberschreitende ICEs nach Österreich fahren nur auf dem österreichischen Streckenabschnitt bis nach Passau, EC Tagesverbindungen verkehren ebenfalls nur innerhalb Österreichs. Die ECEs Zürich München fahren nur von Zürich HB bis nach Bregenz und alle Nachtzüge, die nach oder über Deutschland fahren entfallen komplett. Davon ausgenommen sind jene Züge, die nur über das deutsche Eck ohne Halt in Deutschland unterwegs sind.

Nach Ende des ersten Streiks forderte die DB erneut Lösungsbereitschaft von der GDL ein. Diese hat die Gewerkschaft derzeit aber nicht im Programm und schießt weiter gegen den Arbeitgeber: „Statt mit einem verhandlungsfähigen Angebot den Weg für Verhandlungen freizumachen, ziehen die Manager weiterhin massiv gegen die GDL und ihre Mitglieder ins Feld“, so Claus Weselsky. Die Forderungen der GDL bleiben Erhöhung der Einkommen um 3,2 Prozent nach dem Vorbild des öffentlichen Dienstes, Schutz der Betriebsrente, eine Corona-Prämie in Höhe von 600 Euro, die Verbesserung von Arbeitszeit sowie Tarifverträge für die gesamte Infrastruktur, für Netz, Station und Service und die Werkstätten. Da man diese Forderungen weiterhin als nicht erfüllt sah, kündigte Weselsky, diesmal mit etwas mehr Vorlaufzeit, den 2. Bahnstreik an.

Die DB reagierte prompt und machte der GDL am Sonntag, den 22. August ein Angebot. Sie erklärte sich bereit, über eine nicht näher definierte Corona-Prämie für die Beschäftigten, was ja eine der GDL-Forderungen ist, zu verhandeln. Die GDL sah darin jedoch ein "Scheinangebot" und hielt an den Streikplänen fest: Man sei verhandlungsbereit, aber nur auf der Grundlage eines Angebots, das diesen Namen auch verdient, so Weselsky. Weselsky betonte erneut, dass ein verbessertes Angebot der Deutschen Bahn Voraussetzung für weitere Verhandlungen sei.

So wurde auch der 2. Bahnstreik wie geplant durchgeführt: 81 Stunden lag der Güterverkehr bis auf die Grundversorgung lahm, 48 Stunden wurde der Personenverkehr erheblich eingeschränkt. Rund 30% der Verkehre konnten deutschlandweit aufrecht erhalten werden. Bahnsprecher Achim Stauß dazu: Auch diese Streiks sind mittlerweile vorbei. Selbstverständlich bot bzw. bietet die Deutsche Bahn wegen der Streiks umfangreiche Kulanzmaßnahmen an. Mehr dazu von Db Sprecherin Anja Bröker: Aber wie lange soll es nun so weitergehen? Das ist schwer zu sagen. Jedenfalls wird eine der beiden Parteien in ihren Vorstellungen etwas nachgeben müssen, um einen Kompromiss zu erzielen. Die GDL beharrt aber fest auf ihren Forderungen in der Hoffnung auf neue Mitglieder und die DB hat Sorge, einen Präzedenzfall zu erzeugen, wenn sie den Forderungen jetzt nachgibt. Schließlich hat mittlerweile die Eisenbahn und Verkehrsgesellschaft EVG, die weit größere Gewerkschaft, angekündigt, ebenfalls zum Streik aufzurufen, wenn die Forderungen der GDL erfüllt würden. Schließlich liegt dann eine Ungleichbehandlung bei den Tarifverträgen vor.

Der Vorsitzende der EVG, Klaus-Dieter Hommel, hat das Verhalten der GDL im Tarifstreit mit der Bahn auch direkt heftig kritisiert. Es gehe der GDL im Arbeitskampf mit der Bahn weniger um höhere Entgelte und die Altersversorgung der Beschäftigten, sondern „offenbar viel eher um die Ausweitung ihres Organisationsbereichs und ums Überleben“, sagte er im Interview gegenüber Merkur.de. Auch erhob Hommel Vorwürfe gegenüber GDL Mitgliedern, die ihren EVG Kollegen massive Beleidigungen und teils sogar Morddrohungen entgegenbrachten. Inwieweit diese Vorwürfe berechtigt sind, kann ich nicht bewerten, vielleicht wissen ja manche von euch mehr dazu.

Die Situation ist also für alle Beteiligten sehr angespannt und es ist wirklich zu hoffen, dass sich bald eine endgültige und friedliche Lösung zwischen DB und Gewerkschaft finden lässt.

Die Quellen zu diesem Beitrag: